Von Neonazis und einem unfreiwilligen Spendenlauf

 

Jedes Jahr im November marschieren Neonazis durch das fränkische Wunsiedel, um dem Tod des dort begrabenen Rudolf Heß zu gedenken.

 

Doch im vergangenen Jahr war alles ein bisschen anders: Es gab eine Ziellinie, buntes Konfetti auf braunem Grund und jede Menge Anfeuerungsrufe. Hinter der ungewöhnlichen Rahmung der Demonstration steckte die Organisation Exit Deutschland. Ohne das Wissen der Beteilig¬ten wurde Geld eingesammelt und der Trauermarsch kurzerhand in einen Spendenlauf umfunktioniert: Für jeden Meter, den die Nazis liefen gingen zehn Euro an das Aussteigerprogramm. Wir haben mit Fabian Wichmann, einem der Initiatoren, über die Aktion gesprochen.

 

Herr Wichmann, welchen Stellenwert hat eine ¬aufmerksamkeitserregende Öffentlichkeitsarbeit für ¬Organisationen wie Ihre?

 

Fabian Wichmann: Sie ist für uns im doppelten Sinne elementar. Zum einen auf der existenziellen Ebene. Exit Deutschland ist trotz staatlicher Förderung auf eine Kofinanzierung angewiesen, um Mittel für die Bundesfinanzierung zu bekommen. Da wir ein relativ kleiner Träger sind, müssen wir diese über Spenden generieren. Darüber hinaus ist die Öffentlichkeitsarbeit aber auch wichtig, um transparent zu sein, und Interessierten zu zeigen, wie wir arbeiten. Hinzu kommt der strategische Aspekt in Bezug auf die Szene direkt, die Auseinandersetzung mit dem Ausstieg. Die Kommunikation an dieser Stelle ist für uns ein Kernaspekt. Schließlich klingeln wir nicht bei den möglichen Aussteigern an der Tür, sondern erwarten, dass sie zu uns kommen.

 

Für die Aktion „Rechts gegen Rechts“ haben Sie in Deutschland viel Zuspruch erhalten. Was war das Ziel des „unfreiwilligen ¬Spendenlaufs“?

 

Wir wollten die Wahrnehmung für unser Projekt stärken, darüber hinaus eine alternative Umgangsweise mit Demonstrationen zeigen und im klassischen Sinn Fundraising betreiben. Der pädagogische Effekt ist es, den Neonazis einen Selbstwirksamkeitsmechanismus zu präsentieren: Ihr haltet eine Demonstration ab, okay, das ist freie Meinungsäußerung, euer verbrieftes Recht. Aber wenn ihr das macht, hat das einen Preis. Die Spenden wurden zwar nicht von den Demonstranten geleistet, sie hatten jedoch die Verantwortung dafür, dass sie freigegeben werden. Der Witz und die Ironie, die zusätzlich durch die Banner und das Video hinzukamen, hatten auch zum Ziel, dass das Thema leichter wirkt. Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus muss nicht immer so verbissen und verkrampft sein und auch nicht auf Eskalation hinauslaufen.

 

Bereits 2011 erregte Exit Aufsehen mit einer trojanischen Aktion: Sie schmuggelten damals T-Shirts mit Totenkopf und „Hardcore“-Schriftzug an Verkaufsstände für Neonazis. Nach der ersten Wäsche war das Motiv abgeblättert, stattdessen erschien der Aufruf: „Was dein T-Shirt kann, kannst du auch“, darunter das Exit-Logo. Was war hier der Hintergedanke?

 

Das T-Shirt diente tatsächlich zur direkten Ansprache von Neonazis. Natürlich steigt niemand wegen eines solchen Aufdrucks aus. Aber die Idee war, sich zu zeigen, ein Label zu bieten. Wenn die Person dann ein paar Jahre später überlegt, etwas zu ändern, auszusteigen, erinnert sie sich vielleicht daran und denkt etwas wie: „Da gab es eine gewisse Ironie, so übel können die nicht sein“. Auch hier spielte das subversiv-konfrontative Moment eine entscheidende Rolle. Das bedeutet, man erzeugt über ein „trojanisches Pferd“ Aufmerksamkeit, legt die eigentlichen Inhalte dahinter und bricht damit Erwartungshaltungen. So haben wir beispielsweise auch einmal Fly¬er mit einem Reichsadler und dem Schriftzug „Deine Freiheit, die es zu verteidigen gilt“ bedruckt und zwischen anderen, einschlägigen Flyern herausragen lassen. Erst bei näherer Betrachtung wurde deutlich, dass der Text darauf der eines Aussteigers aus der Szene ist. Wir greifen also bestimmte Wahrnehmungsmuster auf, um diese dann zu konterkarieren.

 

Als die Neonazis den Flyer entdeckten oder das Shirt aus der Waschmaschine holten, waren Sie nicht dabei. Beim „Spendenlauf“ haben Sie jedoch am Rand gestanden. Hatten Sie die Befürchtung, dass jemand ausrasten könnte?

 

Wir haben im Vorhinein viel darüber diskutiert, waren uns aber einig, dass die Wahrscheinlichkeit relativ gering ist. Die Frage war eher, ob die Plakate kaputt gemacht werden. Unser Rückschluss war, dass die Neonazis vermutlich die Scheuklappen aufsetzen, über jegliche Eskalation hätten sie schließlich nur die von uns gestaltete Szenerie aufgewertet. Hinzu kommt der Anlass. Aus ihrer Perspektive war das ein Trauermarsch, da gibt es klare Anweisungen – kein Alkohol, keine Gespräche, keine Provokationen. Von daher waren die Voraussetzungen für die Aktion sehr günstig. Wir hatten aber auch ein Sicherheitskonzept.

 

Sind Sie von einem der Mitlaufenden angesprochen worden?

 

Nein, ich habe mich während der Demo, um die Aktion zu verfolgen, nicht zu erkennen gegeben. Generell gab es von ihnen relativ wenige Reaktionen. Ein Journalist hat aber jemanden sagen hören, „Jetzt haben wir hier die Kohle für den Scheißverein Exit erlaufen“. Aber es ist bei diesem verbalen Angriff geblieben. Die meisten haben versucht, die Aktion auszublenden. Im Anschluss an ihren Marsch haben die Demonstranten im Internet Fotos veröffentlicht, da war keines dabei, wo auch nur der Zipfel eines unserer Banner zu sehen gewesen wäre …

 

Wie haben sich die Wunsiedeler verhalten? Wurden die Anwohner vorher über die Aktion informiert?

 

Nein, außer unseren Bündnispartnern vor Ort wusste niemand Bescheid, nicht einmal die Polizei oder der Bürgermeister waren eingeweiht. Erst am selben Morgen wurden einige Leute in die Vorbereitungen eingebunden. Nun muss man aber auch wissen, dass die Demostrecke durch eine ziemlich ausgestorbene Gegend führt und nicht durchs Zentrum des Örtchens hindurch. Trotzdem sind die Wunsiedeler den jährlich stattfindenden Marsch natürlich ziemlich leid. Die meisten hatten es aber schon aufgegeben, sich dagegen einzusetzen und kapituliert. Als unser Plan dann langsam durchsickerte, fanden die Anwohner das sehr spannend und haben uns absolut positive Rückmeldung gegeben.